Hallo liebe Spender,
am 7.12 bin ich in Brasilien angekommen und ich wurde herzlich am Flughafen von Rosie, Edcon und Iran, den Erziehern von „„ruas e pracas““, empfangen. Ich wohne direkt im Zentrum von Recife bei Rosie, die bereits einen anderen Freiwilligen aus Deutschland, nicht von „Ruas e Pracas“, bei sich aufgenommen hat.
Ich habe schon Vieles mitbekommen in diesem Monat mit der Gruppe von „Ruas e Pracas“. Zusammen mit den Erziehern habe ich Familien in den Favelas besucht, um mit ihnen über ihre Kinder zu reden und um zu beraten, wie sich die Situation der Familie verbessern lässt. Hierbei hab ich hautnah miterleben können, unter welchen wirklich krassen Umständen die Familien in den Favelas leben. Jedes Kind hat seine eigene Geschichte und eine ist schlimmer als die andere. Die Mütter erzählten zum Großteil voller Schmerzen und mit Tränen in den Augen, wie es um ihre Familie steht.
Doch nicht nur die Besuche in den Favelas haben mich berührt, sondern vor allem die Arbeit direkt auf der Straße mit den Kindern. Viele der Kinder kennen die Erzieher bereits und begrüßen sie herzlich, doch andere bekommen unsere Ankunft kaum mit, da sie sich in der Welt der Drogen befinden und vor sich hin träumen. Sie schnüffeln die ganze Zeit Klebstoff oder befinden sich im Crack Rausch. Ich konnte es kaum glauben, als mir einer der Erzieher erzählte, dass einige Mädchen im Alter von 11 -13 Jahren für sehr wenig Geld anschaffen gehen und somit ihre ersten sexuellen Erfahrungen machen. Doch darüber möchte ich ausführlicher in einem meiner nächsten Berichte schreiben.
Ich bin zu einer sehr speziellen Zeit angekommen, wo sich überall auf der Welt viele Menschen zusammensetzen, um zusammen Weihnachten zu feiern und auch, um den Beginn eines neuen und den Abschied des vergangenen Jahres zu feiern. „Ruas e pracas“ hat zum Jahresabschluss mehrere Treffen organisiert und ich konnte an zwei Treffen teilnehmen. Das erste Treffen war am 16.12.2010. Dort haben sich die Erzieher mit den Müttern zusammengesetzt, die bei vielen Veranstaltungen tatkräftig mitgeholfen haben und ohne deren Hilfe Vieles nicht hätte realisiert werden können. Wir haben einen Stuhlkreis gemacht und es wurde ein Vortrag gehalten, bei dem alle Punkte aufgezählt wurden, die im Jahr 2010 realisiert wurden. Danach legten die Erzieher kleine Geschenke in die Mitte des Stuhlkreises und einer nach dem anderen gab seinem Nachbarn ein Geschenk. Nachdem jeder ein Geschenk bekommen hatte, aß man gemeinsam Kuchen und trank erfrischende Getränke. Ich war der Fotograph und habe zum Schluss auch ein Willkommensgeschenk bekommen. Am Ende der Feier haben alle Hand in Hand das Vaterunser gebetet, die Kinder und eine Mutter mit einem neugeboren Baby haben sich in die Mitte gestellt. Das Schicksal dieser Mutter hat alle sehr bewegt, da sie als Schwangere einen Fahrradunfall hatte. Während ihrer Arbeit als Eisverkäuferin auf der Straße wurde sie von einem Auto angefahren. Ihr Neugeborenes war eine Frühgeburt, ist mit offenem Rücken geboren und hat einen Wasserkopf.
Am 19.12.2010 habe ich zum ersten Mal den „Sitio“ besucht und zwei Tage dort verbracht. Ich bin mit einer kleinen Gruppe von Kindern dorthin gefahren, der Älteste war 15 Jahre alt. Im „Sitio“ selber wohnten schon sechs Kinder, die über einen längeren Zeitraum dort leben. Die Kinder waren alle mit der Vorbereitung der Weihnachtsfeier, die am 22.12 stattfinden sollte, beschäftigt. Es gibt dort einen Saal, der dekoriert wurde, um die Eltern, die am Festtag kommen sollten, zu empfangen. Am ersten Tag schmückten sie den Saal mit Weihnachtskugeln und Tannenzweigen aus Plastik. An diese Weihnachtsdekoration muss ich mich erst noch gewöhnen, die ist nämlich ziemlich kitschig. Sowieso wird Weihnachten hier in Brasilien anders zelebriert als in Deutschland. Mir kommt das Weihnachten hier wie ein Europaimport vor, es passt irgendwie nicht: die Hitze, Schnee aus Watte und Tannenbäume aus Plastik. Doch es war schön die Kinder mal den ganzen Tag zu erleben und sie ohne den Einfluss der Drogen kennen zu lernen.
Ein Teil von ihnen probte für eine Aufführung. Sie handelte von einem Straßenjungen, der an Weihnachten allein mit seinem Freund auf der Straße saß bis andere Kinder zu ihnen stießen und zusammen mit ihnen Weihnachten feierten. Die neu dazu gestoßenen Kinder erklärten den Straßenkindern die Bedeutung von Weihnachten, um im Anschluss daran mit ihnen gemeinsam ein Weihnachtslied zu singen. Als ich Fotos von der Probe machte, fingen die Kinder an vor der Kamera zu „posen“, weswegen ich mit dem Fotografieren aufhörte. Lustig war eine Szene, die ich fotografiert hatte. Auf dem Foto sieht es so aus, als ob sich zwei der Kinder küssten, es war das „Skandalfoto“ und die Kinder glaubten, ich könnte mit meiner Digikam Zauberern. Ich hatte viel Spaß mit ihnen und jede freie Minute musste ich mit ihnen Fußball spielen und irgendetwas auf Deutsch sagen, um anschließend ausgelacht zu werden.
Es war ihnen anzumerken, dass sie auf der Straße ständig mit Gewalt zu tun haben. Ständig beschimpften sie sich untereinander, drohten den anderen umzubringen, seine Matratze in der Nacht mit Benzin zu übergießen und anzuzünden. Es waren alles nur leere Drohungen, die zum Teil einfach nur ausgesprochen wurden, um unter sich auszumachen, wer der stärkere ist. Oft eskalierte das Ganze und aus Spaß wurde Ernst, dann wurde schnell mal ein Stein hinter einem anderem hergeworfen. Einer der Kinder zeigte mir eine Narbe neben seinem Auge. Als er auf der Straße eingeschlafen war, kam ein „Freund“, zündete eine Stück Watte an und drückte es ihm ins Gesicht. Das heißt, dass es auf der Straße durchaus zu solchen Aktionen kommen kann. Die meisten machten einen auf starken Mann, doch wenn sie abends allein auf Klo gehen mussten, klopften sie an unsere Tür und wollten, dass wir sie ein Stück bis zum finsteren Klo, das sich außerhalb des Hauses befand, begleiten. Trotz der paar Auseinandersetzungen war es eine schöne Zeit, die wir dort verbrachten.
Am letzten Tag waren alle ganz aufgeregt, weil GRP einen Bus organisiert hatte, mit dem sie die Eltern und Geschwister der Straßenkinder zum Sitio transportierten. Alle Kinder zogen ihre besten Klamotten an, auch wenn ihr bestes Kleidungsstück nur aus einer einfachen Jeans bestand, die sie mit einem besonderen Trikot kombinierten. Meistens besitzen die Kinder nur ein oder zwei Kleidungsstücke. Als der Bus ankam rannten sie alle zum Bus. Umso größer war die Enttäuschung, als manche Eltern nicht gekommen sind…
Zuerst gab es die Aufführung und zum Abschluss aßen alle gemeinsam. Das Essen wurde von den Erziehern vorbereitet und alle wurden satt. Es war rührend, wie die Kinder sich zum Teil um ihre Mütter kümmerten, die sie seit langem nicht mehr gesehen hatten. Gegen Abend wurde gebetet und wir alle fuhren mit dem Bus nach Hause.
Ich wünsche Euch allen ein frohes neues Jahr!!!!
Liebe Grüße aus Brasilien
Pedro Firmino Tschirdewahn